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Beschluss des Landesparteitages vom 14.05.2022

14.05.2022

Beschluss A 01 – BREMENS AUSBILDUNG STÄRKEN – EINFACHERE ZUGÄNGE ERÖFFNEN, BESSERES LERNEN ERMÖGLICHEN UND MEHR UNTERSTÜTZUNG GEBEN

Seit Jahren ist die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge bundesweit rückläufig. Nach dem Rückgang in der Weltwirtschaftskrise im Jahr 2008 bis 2010 hat sich der Ausbildungsmarkt in den Folgejahren auch bei bester Konjunktur und positiver Entwicklung der Beschäftigungszahlen nicht mehr erholt. Die Corona-Pandemie brachte 2020 im Land Bremen einen historischen Tiefstand bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen, 2021 hat sich die Zahl nur leicht erhöht und ist weit entfernt vom Vor-Corona-Niveau. Im Ergebnis ist die Zahl der Neuverträge in Bremen von 2008 bis heute von knapp 6.500 auf 5.300 gesunken.

Ein zentrales Strukturmerkmal des Ausbildungsmarkts im Land Bremen ist das zu geringe Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen. Während in anderen Regionen Deutschlands durchaus auch ein Bewerber:innenmangel herrscht, haben wir es in Bremen mit einem Unterangebot an Lehrstellen zu tun. So kamen im Land Bremen zuletzt auf 100 Bewerber*innen nur 69 Ausbildungsplätze. Das Angebotsdefizit wird auch daran deutlich, dass die Zahl der zu Beginn des Ausbildungsjahres noch suchenden Ausbildungsplatzbewerber:innen mehr als doppelt so groß ist wie die Zahl der zu diesem Zeitpunkt noch unbesetzten Ausbildungsplätze (897:374). Im Bundesländervergleich ist der Anteil der unbesetzten Ausbildungsplätze an den gemeldeten Ausbildungsplätzen im Land Bremen mit am niedrigsten (HB: 7 %, D: 12 %).

Viele junge Menschen können somit im Land Bremen ihren Ausbildungswunsch nicht realisieren. Im Ergebnis ist der Anteil von jungen Menschen bis 35 Jahren, die keinerlei beruflichen Abschluss erreichen konnten, mit 24 % sehr hoch und im Bundesländervergleich mit Abstand am höchsten. Dieser hohe Anteil von Menschen ohne Berufsausbildung ist auf zwei Ebenen bedrohlich. Erstens sind die Erwerbsverläufe von Menschen ohne Ausbildung häufiger von Arbeitslosigkeit, prekärer Beschäftigung und geringen Einkommen gekennzeichnet – es droht Armut. Zweitens fehlt der Wirtschaft der dringend benötigte Fachkräftenachwuchs, insbesondere vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, da im Land Bremen in den nächsten vier Jahren jeder vierte Beschäftigte in Rente geht.

Durch den Mangel an Ausbildungsplätzen, die tendenziell steigenden Anforderungen beim Erlernen eines Ausbildungsberufs und das marktbasierte System der Bestenauslese durch die Betriebe sind vor allem junge Menschen mit maximal dem Hauptschulabschluss von Ausbildungslosigkeit betroffen. Auch das männliche Geschlecht und ein Migrationshintergrund erschweren den Zugang zu einer Berufsausbildung. Im Übergangssystem finden sich überdurchschnittlich viele junge Migranten mit keinem oder einem niedrigen Schulabschluss. Finden junge Menschen trotz der Zugangshürden einen Ausbildungsplatz, wird der Ausbildungsvertrag deutlich häufiger gelöst.

Aus dieser Analyse leiten wir folgende Handlungsfelder ab:

  1. Wir wollen die Ausbildungsplatzlücke verringern. Die Einrichtung eines bremischen Ausbildungsfonds erachten wir dazu weiterhin als essentiell.
  2. Wir wollen die Attraktivität der dualen Ausbildung durch eine angemessene Bezahlung, eine klare Perspektive (z. B. auf eine Übernahme) sowie durch eine gesellschaftliche Gleichstellung von Ausbildung und Studium verbessern. Hier kann und muss der öffentliche Dienst eine Vorreiterrolle einnehmen.
  3. Wir wollen die Integrationskraft des dualen Systems durch die Errichtung von Berufsausbildungs-Campussen und durch Unterstützung am Ausbildungsplatz erhöhen.
  4. Wir wollen das Übergangssystem bedarfsorientiert reformieren und besser an die Bedürfnisse junger Menschen anpassen.
  5. Wir wollen die duale Ausbildung zukunftsfähig gestalten und ihre Inhalte stärker auf gesellschaftliche, ökonomische und technologische Transformation ausrichten. Auch das Lernen an den Berufsschulen soll stärker auf eine zukunftsgerechte Ausbildung orientiert werden.
  6. Wir wollen durch gezielte Angebote benachteiligten Personenkreisen die Chance auf eine Ausbildung ermöglichen.

Der Ausbildungsfonds muss kommen

Die Einführung eines Ausbildungsfonds ist bereits Bestandteil des Koalitionsvertrages von SPD, Grüne und Linke im Land Bremen. Leider hat sich unter anderem aufgrund der pandemischen Lage in den letzten beiden Jahren die Einführung verzögert. Die Senatorin für Wirtschaft und Arbeit hat nun eine Kommission eingerichtet, die einen konkreten Vorschlag für die Einführung eines Ausbildungsfonds erarbeiten soll. Wir erwarten diesbezüglich eine erste gesetzliche Initiative vor dem Frühjahr 2023.

Der Ausbildungsfonds ist kein Strafinstrument, sondern muss insgesamt die Attraktivität der dualen Ausbildung stärken. Betriebe mit einer zu bestimmenden Mindestgröße, die nicht ein Mindestmaß an Ausbildung in ihrem Betrieb durchführen, sollen einen Solidaritätsbeitrag in den Fonds einzahlen. Betriebe, die hingegen eine angemessene Zahl an Menschen ausbilden, werden von der Zahlung befreit. Der Fonds soll neben einer Kompensation der Ausbildungskosten vor allem dazu dienen, Unterstützungssysteme der dualen Ausbildung zu finanzieren,
z. B. die in diesem Antrag thematisierten Azubi-Wohnheime oder Investitionskosten für überbetriebliche Ausbildungselemente. Ziel ist es dabei, dass Unternehmen, die nicht ausreichend ausbilden, sich an den gesellschaftlichen Kosten für Ausbildung beteiligen oder einen Anreiz geben, doch selbst (mehr) auszubilden.

Attraktivität der Ausbildung steigern

Zur Verbesserung der Ausbildungsbedingungen in Bremen wollen wir die Angebote für Auszubildende in den Bereichen Mobilität, Wohnen und psychologischer Beratung weiter verbessern. Gerade um die Gleichwertigkeit von Ausbildung und Studium sicherzustellen, müssen wir eine gute soziale Infrastruktur zur Unterstützung von Auszubildenden aufbauen. Das Land Bremen hat hier bereits Fortschritte gemacht, an denen wir anknüpfen können.

Darüber hinaus muss auch die finanzielle Situation der Auszubildenden in den Blick genommen werden. Wie überall gilt es hier, Tarifverträge zu unterstützen, jedoch können wir als Land auch weitergehende Schritte unternehmen.

Wir sprechen uns deshalb für folgende Maßnahmen aus:

  • Zur Schaffung von mehr Wohnraum für Auszubildende sind die nötigen Schritte in die Wege zu leiten. Dies schließt insbesondere den Bau von Azubiwohnheimen mit ein. Dabei gilt es, bei der Planung die Anbindung an Betriebe und Berufsschulen zu berücksichtigen.
  • Die Ausweitung der bestehenden, dezentralen, im Bereich der Berufsschulen angesiedelten, sozialpädagogischen Beratungsstruktur für Auszubildende („Bleib dran!“) auf alle Berufsschulen und eine Ergänzung um ein Angebot psychologischer Erstberatung.
  • Finanzielle Probleme sollten keiner Ausbildung im Wege stehen. Die Höhe der Mindestausbildungsvergütung muss weiter angehoben werden. Dazu wollen wir eine Bundesratsinitiative, um ggf. auf Bundesebene für eine höhere Mindestausbildungsvergütung einzutreten. Das Land Bremen soll außerdem ähnlich dem Landesmindestlohn eine Landesmindestausbildungsvergütung einführen, die mindestens dem Bafög-Höchstsatz entspricht (gegenwärtig 861 Euro/Monat).
  • Der öffentliche Dienst hat eine Vorbildfunktion. Wir wollen, dass der Öffentliche Dienst und öffentliche Unternehmen Auszubildende nach Abschluss der Ausbildung grundsätzlich in unbefristete Beschäftigung übernehmen. In Berufen, in denen er seiner Vorbildfunktion auch durch Ausbildung über Bedarf gerecht wird, kann von diesem Grundsatz abgewichen werden.

Berufsausbildungs-Campus

Wir setzen uns für die Einrichtung von Berufsausbildungs-Campussen ein, um der vorherrschenden Fraktionierung des schulischen Bereichs entgegenzuwirken und eine moderne Form der Ausbildung zu etablieren. In den entstehenden Campussen sehen wir eine große Chance, die Attraktivität von Ausbildung in Bremen zu steigern – eine Chance, die wir nutzen wollen. Ein Campus ermöglicht eine intensivere Betreuung der Auszubildenden und intensivere Vermittlung des theoretischen Lernstoffes. Verschiedene Ausbildungsberufe ähnlicher Ausrichtung geraten miteinander in Kontakt, können voneinander profitieren und gemeinsam Synergien schaffen, z. B. bei der Nutzung von Fachräumen oder Maschinen. Gerade in Anbetracht der fortschreitenden Digitalisierung sowie der notwendigen sozial-ökologischen Transformation und den damit verbundenen Wandel der Ausbildungsberufe, können so berufsübergreifende Angebote geschaffen werden. 

Durch die Campus-Lösung entstehen Berufsschulzentren mit oft mehreren tausend Auszubildenden. Diese große Menge an Lernenden ermöglicht es auch Strukturen zu schaffen, die in der bisherigen Kleinteiligkeit der Berufsschullandschaft kaum möglich waren. So wollen wir, dass jeder Campus über eine eigene Kita mit flexiblen Öffnungszeiten verfügt, um auch alleinerziehenden jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, eine Ausbildung zu absolvieren. Zudem wollen wir die Wohnheiminfrastruktur für Auszubildende ausbauen. Auch hier ist eine Nähe zu den Campussen sinnvoll.  Die zeitweise gemeinsame Unterkunft fördert sowohl das soziale Miteinander als auch die gemeinsame berufliche Identität. Schlussendlich ermöglichen die großen Zentren eine umfassende Ausstattung von multiprofessionellen Teams, z. B. mit mehreren Schulsozialarbeiter:innen, Schulpsychologen, Ansprechpartner:innen der Jugendberufsagentur, des Jugendamtes oder der Arbeitnehmerkammer. Die berufliche lebenslange Weiterentwicklung kann ebenfalls über die gleiche Struktur der Berufsausbildungs-Campusse erfolgen.

Das Übergangssystem reformieren

Schulabgänger:innen, die nach der Schule keine Ausbildung oder ähnliches finden können, werden in Deutschland in einem sogenannten beruflichen „Übergangssystem“ aufgefangen. Die Bandbreite der Angebote ist dabei sehr groß und unübersichtlich. Die zentralen Anlaufstellen sind dabei zum einen Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit und zum anderen Maßnahmen der staatlichen, beruflichen Bildung (in Bremen z. B. Berufsorientierungsklassen, Praktikumsklassen oder berufsvorbereitende Berufsfachschulklassen). Das System in Bremen ist momentan sehr komplex und legt einen Fokus auf das Erlangen von Abschlüssen (z. B. der Erweiterten Berufsbildungsreife oder des Mittleren Schulabschlusses).

Wir wollen das Übergangssystem reformieren und weiterentwickeln. Es ist gut, dass Schüler:innen von unseren Systemen aufgefangen werden und eine Weiterqualifikation erfolgt. Den schulischen Teil des Übergangssystems wollen wir zukünftig jedoch vereinfachen und den Fokus auf die für die Ausbildung notwendigen (praktischen) Fertigkeiten konzentrieren und damit auf das Finden eines Ausbildungsplatzes in der dualen Bildung ausrichten. Wir sind der Überzeugung, dass Schüler:innen, die keine Ausbildung finden, sehr wohl gut in einer Ausbildung aufgehoben wären, statt weitere Schleifen in einem schulischen System zu drehen, dessen sie in Teilen überdrüssig geworden sind.

Die bestehenden Vielfalt der Bildungsgänge des Bremischen Übergangssystem möchten wir deutlich reduzieren. Wir möchten einen zentralen Bildungsgang implementieren, der vor allem auf eine Aufnahme einer  Berufsausbildung vorbereitet. Dabei kann bei entsprechenden Leistungen auch ein erstes Ausbildungsjahr anerkannt werden.  Weiterhin soll es auch einen Bildungsgang geben, in dem gezielt ein Abschluss der Berufsbildungsreife (BBR) oder der Mittlere Schulabschluss (MSA) erworben werden kann.

Ziel der Neuaufstellung ist es, trotz des Übergangscharakters durchgängige Bildungsketten mit festen Ansprechpartner:innen zu etablieren. Dazu wollen wir die entstehenden Campusse der Berufsschulen nutzen und auf die Berufsfelder orientierte Übergangsklassen schaffen. So können die Schüler:innen in verschiedene Berufe eines Berufsfeldes einen Einblick erlangen. Im bisherigen System wechseln nach den jeweiligen Bildungsgängen die Klassen, die Lehrkräfte und oft auch das Umfeld. Zukünftig wollen wir den Besuch des Übergangssystems und die duale Ausbildung an einer Schule ermöglichen. Im Optimalfall bleiben Lehrkräfte und Sozialpädagog:innen als Ansprechpartner:innen und Bezugspersonen erhalten.

Die Schüler:innen der Übergangsklassen benötigen eine intensive Betreuung und Begleitung. Auch hier kann der Clustergedanke der Campusse für die Berufsschulen helfen. Wir wollen, dass neben den Lehrkräften multiprofessionelle Teams die Klassen begleiten. Zudem soll es möglich sein, dass Klassen in kleine Gruppen unterteilt werden und in unterschiedlichen Berufen einzelne Module besuchen können. So können sie die verschiedenen Berufe kennenlernen, z. B. können Schüler:innen der Übergangsklasse des Handwerks ein Modul in der Tischlerei, eines in der Schlosserei und eines bei den Dachdecker:innen besuchen oder sich in betreuten Langzeitpraktika in einem Berufsfeld erproben. In Vertiefungsmodulen bereiten sich die Schüler:innen dann auf eine Ausbildung in dem von ihnen favorisierten Beruf vor. Wir wollen somit Berufsorientierung und Ausbildungsvorbereitung stärker verbinden und leben.

Berufliche Orientierung hilft dabei nicht nur jungen Menschen, die keine Ausbildung gefunden haben. Wir wollen in der gesamten Mittelstufe die berufliche Orientierung stärken. Wir wollen ausgeweitete Zeiten für min. zwei Praktika, Werkstatttage und konkrete Ansprechpartner:innen der Jugendberufsagentur vor Ort. Daneben  wollen wir an allen Oberschulen und Gymnasien verpflichtend „Tage der beruflichen Bildung und der gymnasialen Oberstufen“ einführen, um den Schüler:innen die vielfältigen Möglichkeiten neben dem Abitur nahezubringen. Es ist nachvollziehbar und gut, dass viele Schulen ihre Schüler:innen in ihrer Oberstufe beschulen wollen. Jedoch haben die Schüler:innen unterschiedliche Neigungen, denen unsere verschiedenen Profile der Oberstufen und die Vielfalt der beruflichen Bildung nur in ihrer Gesamtheit gerecht werden. Dafür muss dieses Angebot aber zum einen bekannt sein und der Kontakt zu Ansprechpartner:innen möglichst niedrigschwellig erfolgen.

Abbruch von Ausbildungen verhindern

Immer wieder kommt es zu Vertragslösungen in der dualen Berufsausbildung, wobei diese nicht gleichbedeutend mit einem Ausbildungsabbruch sind. Von einer Vertragslösung spricht man auch, wenn Auszubildende sich während ihrer Ausbildung für einen anderen Ausbildungsberuf oder Ausbildungsbetrieb entscheiden.

Laut Berufsbildungsbericht 2021 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wurden im Jahr 2019 bundesweit 154.149 Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst, somit liegt die Vertragslösungsquote bei 26,9%. Hierbei handelt es sich um einen Näherungswert, da es während der gesamten Ausbildung zu einer Vertragslösung kommen kann. Mit 26,9% liegt die Vertragslösungsquote leicht über der des Jahres 2018 (26,5%) und oberhalb des Schwankungsbereichs seit Anfang der 1990er-Jahre (20% bis 25%).

Die Gründe, aus denen sich Auszubildende für eine Vertragsauflösung entscheiden, sind verschieden. Häufige Gründe sind:

  • persönliche Schwierigkeiten, wie zum Beispiel finanzielle
    Probleme
  • Probleme in der Berufsschule
  • Probleme im Betrieb
  • Probleme im gewählten Beruf

Umso wichtiger ist es, weitere Beratungs- und Hilfsangebote für Auszubildende zu schaffen. Kommt es beispielsweise zu Problemen mit einer Führungsperson, fehlt den Auszubildenden – gerade in kleineren Betrieben – häufig eine Vertrauensperson. Das Beantragen einer finanziellen Unterstützung ist aufwändig und bei Problemen in der Berufsschule, wie zum Beispiel Prüfungsangst oder Schwierigkeiten in einem Lernfeld, fehlt in vielen Fällen die Unterstützung. Darüber hinaus sollte ein möglicher Wechsel der Ausbildung vereinfacht werden.

Wir fordern deshalb:

  • Auszubildende brauchen unabhängige Beratungsangebote durch geeignete Vertrauenspersonen (beispielsweise Sozialpädagog:innen auf den Berufsausbildungscampussen).
  • Hilfsangebote, egal welcher Art, müssen bereits vor Beginn der Ausbildung klar kommuniziert werden. Allen Auszubildenden muss klar sein, welche Hilfen sie an welchen Stellen bekommen  können.
  • Sexueller Belästigung am Arbeitsplatz muss generell ein Riegel vorgeschoben werden, doch gerade junge Auszubildende befinden sich in einer besonders verletzlichen Position. Das Problemfeld muss deswegen früh in Berufsschulen thematisiert werden. Gerade für kleinere und mittlere Betriebe braucht es neutrale Ansprechpersonen, die in solchen Situationen helfen können.
  • Erleichterter Zugang zu Teilzeitausbildungen für u. a. Alleinerziehende, allerdings auch für Frauen oder Männer, die zugunsten der:des Partner:in und aufgrund der Übernahme der Kinderbetreuung späterhin sonst keine Ausbildung anstreben. Daneben müssen die Berufsschulzeiten flexibler gestaltet werden, um auch diesen Teil der Ausbildung in Teilzeit absolvieren zu können.
  • Wer seine Ausbildung wechselt, sollte nicht von vorne anfangen müssen. Stattdessen sollte es möglich sein, sich – ähnlich zum Studium – Inhalte aus der alten Ausbildung anrechnen zu lassen.
  • Zivilgesellschaftlich organisierte ehrenamtliche Mentor*innen oder Ausbildungspat*innen können wirksame Unterstützung für Auszubildende leisten und sind daher zu fördern.

Inhalte der Ausbildung zukunftsfest machen

Die sozial-ökonomische Transformation in den Betrieben schreitet immer weiter voran und Themen wie zum Beispiel die Digitalisierung spielen eine wichtige Rolle im täglichen Arbeitsleben. Ausbildungsberufe müssen deswegen für die Zukunft fit gemacht werden, sowohl in den Betrieben als auch in den Berufsschulen. Aktuelle Themen müssen aufgegriffen werden und die dafür benötigten Arbeitsmittel  zur Verfügung stehen.

Sollten bestimmte Berufe in einer Branche nicht mehr benötigt werden, darf es nicht dazu kommen, dass diese Ausbildungsplätze ersatzlos gestrichen werden. Es müssen Alternativen gefunden werden oder die Berufe müssen entsprechend angepasst werden.

Wir fordern deshalb:

  • Die Ausbildungsinhalte müssen regelmäßig kontrolliert und angepasst werden – sowohl im Betrieb als auch in der Berufsschule. Damit die Lehre auf der Höhe der Zeit stattfindet, müssen sowohl Lehrer:innen als auch Ausbilder:innen regelmäßig geschult werden.
  • Bereits während der Ausbildung muss den Auszubildenden die Möglichkeit gegeben werden, sich durch Workshops und Lehrgänge an zukünftige Herausforderungen anzupassen.
  • Des Weiteren müssen den Auszubildenden Lehr- und Lernmittel zur Verfügung gestellt werden, die dem Stand der Zeit entsprechen. Diese gilt es regelmäßig zu erneuern.
  • Die Berufsschulen im Land Bremen müssen besser und zeitgemäß ausgestattet werden. Hierzu sollen auch tiefergehende Partnerschaften zwischen Unternehmen und Berufsschulen unterstützt werden, die Austausch von Technologie und Lehrpersonal fördern.

Bremen geht in seinen Berufsschulen den Weg des „Neuen Lernens“. Dabei wird den Schüler:innen mehr Eigenverantwortung für den Lernprozess übertragen. Die Ausbildung erfolgt dabei in Ausbildungsfeldern und anhand von komplexen Projekten. Diese Form des Lernens braucht auch neue Formen der Lernorte. Die neuen Campusse müssen daher neben den klassischen Schulräumen Platz für verschiedene Formen der Einzel- und Gruppenarbeit bieten.

Das neue Lernen lässt in Projekten auch die Integration des gesellschaftlichen und beruflichen Wandels zu. Dieser Wandel verlangt dabei auch regelmäßige Anpassungen der schulinternen Curricula. Dafür müssen wir den Lehrkräften auch Zeit (z. B. in Form von Entlastungsstunden) einräumen. Um am Zahn der Zeit zu bleiben, ist der regelmäßige Austausch zwischen den Lernorten Schule und Betrieb unerlässlich. Es ist daher sinnvoll, dass im neuen Schulverwaltungsgesetz die Position der Betriebe in der Schulkonferenz der Berufsschulen gestärkt wurde. Der regelmäßige Austausch zwischen Lehrkräften und Ausbilder:innen ist wichtig. Wir wollen daher, dass Lehrkräfte regelmäßig die Möglichkeiten erhalten, während der Schulzeit Praxisphasen in Betrieben zu absolvieren (eine Art Praktikum), die durch Seminare im LIS reflektiert werden. So können die Lehrkräfte betriebliche und gesellschaftliche Entwicklungen begleiten und stärker in den Unterricht integrieren.

Unterschiedliche Voraussetzungen besser integrieren

Wir wollen allen Menschen unabhängig ihrer Herkunft, ihres Geschlechts oder möglicher körperlicher Einschränkungen eine Ausbildung ermöglichen. Um dies zu verwirklichen, müssen wir zielgenaue Maßnahmen ergreifen und auf die besonderen Voraussetzungen verschiedener Gruppen reagieren.

Jungen Menschen, die aus dem Ausland nach Deutschland immigriert oder geflüchtet sind, haben oftmals keinen Schul- und Berufsabschluss. Gerade bei dieser Gruppe von jungen Menschen ist die schulische berufliche Orientierung ein sehr wichtiger Baustein, um ihnen Möglichkeiten der beruflichen Ausbildung aufzuzeigen, sie bei den Bewerbungen zu unterstützen und vor allem mit den Eltern zu sprechen und sie über unser Ausbildungssystem zu informieren. Es muss deshalb frühzeitig mehrsprachige Beratungsangebote für Schüler:innen und deren Eltern an den Schulen geben.

Daneben haben wir die Gruppe der geflüchteten jungen Menschen aus Ländern wie Syrien, die zum Teil einen Helferjob einer Ausbildung vorziehen, um so ihren Aufenthalt zu sichern. Seit dem Auslaufen des Abschiebestopps nach Syrien 2020 sind viele junge Menschen ängstlich und möchten ihren Aufenthaltsstatus so schnell wie möglich sichern.

Leider führen diese Helferjobs nicht zu langfristigen Beschäftigungsverhältnissen, sondern sind oft befristet und so landen die jungen Menschen immer wieder in der Arbeitslosigkeit. Es ist sehr wichtig, sie zu motivieren, einen Berufsabschluss durch eine duale Ausbildung zu erlangen.

Um das zu erreichen, fordern wir neben der konsequenten Vergabe von Ausbildungsduldungen einen dauerhaften Aufenthaltstitel für junge Menschen, die ihre Zwischenprüfung erfolgreich bestanden haben. Niemand soll das Land Bremen verlassen müssen, während er oder sie in einer Ausbildung ist.

Daneben ist eine intensive Begleitung der Auszubildenden mit Zuwanderungs- oder Fluchtgeschichte während der Ausbildung sehr wichtig, nur so können wir Ausbildungsabbrüche verhindern. Die größte Hürde ist und bleibt die deutsche Sprache, darum fordern wir zum Start der Ausbildung eine Sprachdiagnostik, die den genauen Sprachstand bestimmt und dann eine ausbildungsbegleitende Sprachförderung (Sprachcoaching am Ausbildungsplatz).

Wir fordern in Kooperation mit der JBA eine verstärkte Beratung der Schüler:innen an den Schulen und mehrsprachige Elternsprechstunden zum Thema Ausbildung, damit die Eltern das System kennenlernen und ihre Kinder besser bei der Orientierung unterstützen können. Darüber hinaus benötigen wir gezielte berufsbegleitende Programme, um den Schulabschluss nachholen zu können. Auch berufsbegleitende Ausbildungsformate müssen verstärkt angeboten werden.

Besondere Vorrausetzungen für Menschen mit Behinderung

Der berufliche Lebensweg von jungen Menschen mit Behinderungen führt heute in den meisten Fällen in die Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). Kommt aufgrund der individu-ellen Beeinträchtigung keine Berufsausbildung in Frage, können sie in den Werkstätten ein Eingangsverfahren durchlaufen und treten dann in Berufsbildungsbereich ein, der jedoch nicht zu einem qualifizierten Berufsabschluss führt. Im Anschluss verbleiben die Meisten ihr gesamtes Berufsleben in den Werkstätten. Ähnlich verläuft es für junge Menschen mit be-sonderen Unterstützungsbedarf, für die sogenannte UB-Verfahren oder Fachprakti-ker*innen-Ausbildungen zur Verfügung stehen, nach deren Ablauf auch sie häufig in den Werkstätten verbleiben. Rund 90% der Schulabgänger*innen werden so im Ergebnis in den WfbM beschäftigt.

Durch die zunehmende Inklusion an den Schulen suchen immer mehr junge Menschen mit Behinderungen nach Alternativen zu diesen Wegen. Seit dem 1. Januar 2020 hat der Bun-desgesetzgeber einen Rechtsanspruch  für ein Budget für Ausbildung für junge Menschen mit Werkstattanspruch geschaffen. Dabei werden den Ausbildungsbetrieben die Ausbil-dungsvergütungen samt Sozialversicherungen erstattet sowie Aufwendungen für Anlei-tung und Begleitung übernommen. Damit kann den jungen Menschen eine Berufsausbil-dung mit qualifizierten Abschluss ermöglicht und eine Alternative zum Eingangsverfahren in den Werkstätten für behinderte Menschen geschaffen werden.

Bislang haben in Deutschland nur sehr wenige jungen Menschen mit Behinderungen in Deutschland das Budget für Ausbildung nutzen können. Daher wollen wir Projekte und Vorhaben fördern, die jungen Menschen mit Behinderungen diese Wege in den allgemei-nen Ausbildungsmarkt als Alternative zu den Werkstätten bahnen. Notwendige Pro-grammmittel sollen über die Ausgleichsabgabe, die das Amt für Versorgung und Integrati-on zur Verfügung hat, eingesetzt werden.

Mit großer Sorge kann man zudem die Vernachlässigung und Vereinsamung von jungen behinderten Menschen beobachten, deren Migrationserfahrung erst kurz zurückliegt. Diese Tatsache ist bundesweit zu beobachten. Einige Bundesländer und Aktionsbündnisse haben schon bemerkenswerte Programme für diese Zielgruppe aufgelegt. Das Land Bremen darf nicht hinten anstehen, gerade in der derzeitigen Situation mit den Flüchtlingen der Ukraine.

Diese Menschen, die teilweise Schreckliches gesehen und erlebt haben, müssen in ihrer neuen Heimat aufgefangen werden. Der Mensch mit Behinderung muss eine feste Struktur bekommen. Wohnung, Umfeld, Ausbildung.

Im Einzelnen heißt das, dass passende Wohnungen und Wohngemeinschaften (beispielsweise in den Azubi-Wohnheimen) geschaffen werden müssen. In dieser sollen auch gerne junge Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen wohnen und sich gegenseitig unterstützen. In den Wohngemeinschaften können die Menschen gemeinsam lernen, darunter ist auch der Sprachkurs zu sehen, die Unterrichtseinheiten können gemeinsam noch einmal durchgegangen werden. Eine solche Gruppe muss pädagogisch und psychologisch begleitet werden. Idealerweise mit Fachkräften aus dem eigenen Land oder durch eine Kooperation.

Wir bringen das duale Ausbildungssystem wieder auf Spur

Die Krise der dualen Ausbildung in Deutschland ist kein Naturereignis! Mit den richtigen Maßnahmen können wir ihr begegnen. Wir bleiben bei unserem Ziel: Alle, die im Land Bremen eine Ausbildung beginnen wollen, sollen dazu die Möglichkeit haben. Die von uns formulierten Forderungen können dazu einen entscheidenden Beitrag leisten, das duale Ausbildungssystem attraktiv für junge Menschen und Betriebe zu machen. Gerade nach der Corona-Pandemie wird der Bedarf an guten Ausbildungsplätzen und gut ausgebildeten Fachkräften weiter ansteigen. Wir dürfen also keine Zeit verlieren.